Richard Flanagan -Der schmale Pfad durchs Hinterland

Beeindruckend, bewegend und bedeutend. „Der schmale Pfad durchs Hinterland“ von Richard Flanagan hat mich wirklich tief beeindruckt und bei der Lektüre viele Gedanken zum Thema Menschlichkeit und Vergebung angeregt. Die Geschichte eines Lebens und einer schwierigen Zeit.

Dorrigo Evans wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in Tasmanien auf. Ein wissbegieriges, kluges Kind, das mit wachen Augen durchs Leben geht. Später wird er ein sehr guter Chirurg sein und seine Mitmenschen eher distanziert betrachten. Auch sein Verhältnis zu Frauen ist sehr kühl. Da er ein attraktiver Mann ist, hat er leichtes Spiel und viele, sehr oberflächliche, rein körperliche Beziehungen. Das ändert sich erst, als er Amy, die geheimnisvolle Frau seines Onkels kennenlernt. Er verliebt sich zum ersten mal ernsthaft und verliert sich in einer leidenschaftliche Beziehung. Dumm nur, dass er zu dieser Zeit kurz vor der Hochzeit mit einer etwas biederen jungen Frau aus gutem Hause steht. Obwohl er genau weiß, dass sie nicht die Richtige für ihn ist, wird er sie heiraten.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde mir die Person des Dorrigo von Seite zu Seite unsympathischer. Ich konnte keine Beziehung zu diesem kalten und glatten Charakter aufbauen. Trotzdem verspürte ich eine gewisse Neugier, wie es weiter gehen würde und wann, beziehungsweise ob diese harte Schale wohl zerbrechen könnte. Hier war die Geschichte nun an einem Punkt, der die Verletzlichkeit von Dorrigo aufflammen ließ. Mittlerweile war die Zeit voran geschritten und in der übrigen Welt tobte der zweite Weltkrieg. Auch Dorrigo meldet sich zum Militär und gerät schon früh in japanische Kriegsgefangenschaft. Mit einem wahnwitzigen Vorhaben, wollen die Japaner dem Rest der Welt die Überlegenheit des japanischen Volkes beweisen. Sie bauen eine Eisenbahnstrecke quer durch Thailand bis nach Burma. Heute wird die Bahnstrecke auch „Todeseisenbahn“ genannt, forderte sie doch mehr Opfer, als die Atombombe in Hiroshima. Dorrigo wird als Kriegsgefangener bei diesem Eisenbahnbau eingesetzt, ebenso wie tausende weitere asiatische und australische Gefangene. Die Zwangsarbeiter haben nicht nur die harte körperliche Arbeit zu überstehen, sie kämpfen auch mit Hunger, Durst, Krankheiten, einem undurchdringlichen Regenwald und brutalen Wärtern. Unter diesen Bedingungen sterben die Menschen wie die Fliegen.

Wenn Erniedrigung, Gewalt und Krankheit regieren, wo bleibt die Menschlichkeit? Das Erstaunliche ist, dass in diesem Roman die Menschlichkeit, die Fähigkeit zu vergeben und die Nächstenliebe immer wieder aufblitzen. Sie tauchen auf in Momenten tiefster Dunkelheit und geben uns als Lesern die Hoffnung auf ein gutes Ende. Dorrigo Evans ist im Lager für die medizinische Versorgung der Mitgefangenen verantwortlich. Diese Aufgabe bringt ihn täglich an seine Grenzen, doch er kämpft, selbst am Ende seiner Kraft, unaufhörlich gegen Krankheit und Tod an. Ihn hält die Erinnerung an Amy am Leben und der Ehrgeiz hier etwas zum Besseren zu bewegen.

Am Ende des Krieges wird es nur Verlierer geben. Die Täter werden entweder zur Verantwortung gezogen oder versuchen sich der Verfolgung zu entziehen und die überlebenden Gefangenen werden für ihr weiteres Leben dieses Trauma mit sich herumtragen müssen. Dorrigo kehrt als Kriegsheld wider Willen nach Hause zurück und versucht mit seiner Frau und seinen beiden Kindern ein normales Leben zu führen. Doch die fehlende Liebe zu ihr stehen einem glücklichen Leben ebenso im Wege wie die traumatischen Erinnerungen. Erst als ein verheehrender Waldbrand das Leben seiner Familie bedroht, wächst er wieder einmal über sich hinaus und rettet sie in letzter Minute. Und ihm ist klar geworden, dass sein Leben so, wie es nun ist, auch gut ist.

Am Ende bin ich genauso wie Dorrigo mit seinem Leben, mit diesem Charakter im Reinen. Und ich bin dankbar für dieses große Stück Literatur, das es dem Leser nicht leicht macht, aber viele Seiten anreißt und noch lange nachklingt.